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Freie Grenzen, freie Wettbewerbe

Manuela Hötzl im Gespräch mit der Chefredakteurin von ARCH

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Henrieta H. Moravèíková :
- Wie werden öffentlich beziehungsweise privat initiierte Wettbewerbe in Bratislava abgewickelt?
- Prinzipiell kommen öffentliche Wettbewerbe nur sehr selten vor. Und wenn, kommt das Siegerprojekt nicht zwangsweise zum Zug. Als Beispiel: Der Wettbewerb für die Bebauung der prominent gelegenen „Vorburg“. Europan 4 hatte das Projekt ausgeschrieben, es verlief allerdings im Sand und wurde schließlich an zwei Investoren verkauft, die wiederum verpflichtet wurden, einen Wettbewerb auszuschreiben. Gegen das Projekt erhob sich eine Welle des Widerstandes, die in der Bürgerinitiative für die Wiederherstellung der Vorburg kulminierte. Damit wird das Problem wieder für ein paar Jahre auf Eis gelegt. Auch beim „Park der Kultur und Erholung“ war die Sache ähnlich. Niemand wollte die Resultate des Wettbewerbes akzeptieren. Als die Stadtvertreter auch nach einiger Zeit nicht fähig waren, eine Entscheidung zu fällen, lud der Investor den berühmten Holländer Eric van Egeraat ein, einen Entwurf für seinen Teil des Geländes zu konzipieren.
- Existieren Richtlinien für Wettbewerbe?
- Bei öffentlichen beziehungsweise von öffentlichen Geldern finanzierten Projekten ist man zwar verpflichtet, öffentliche Wettbewerbe abzuhalten, aber nicht architektonische, sondern rein unter wirtschaftlichen Kriterien. Bei privaten Projekten sind öffentliche architektonische Wettbewerbe auch eine Ausnahme.
Die privaten Investoren organisieren häufig geladene Wettbewerbe. Der einzige Fehler dabei ist, dass diese nicht öffentlich werden, oder nur selten. Die Öffentlichkeit, auch die Professionellen, erfahren also nur schwer, was geschieht. Oder sie erfahren erst dann davon, wenn gebaut wird.

- Welchen Einfluss nimmt die Politik oder die Architekturvertretung der Slowakei darauf?
- Die lokale Politik versucht zwischen Öffentlichkeit und Investoren zu balancieren. Das bedeutet, dass manchmal Entscheidungen getroffen werden, die populistisch sind (zum Beispiel der „Fall Vorburg“, wo die Öffentlichkeit gegen die Gewinnerprojekte von beiden Wettbewerben war). Die Bautätigkeit und Prozesse der Stadtentwicklung in Bratislava sind eng mit der Politik verbunden – politisches Lobbying wird praktiziert.
Die Architekturvertretung ist allgemein kritisch gegenüber der Abwicklung von Projekten. Die Architektenkammer engagiert sich in der Legislative, die Zeitschriften und die Einzelpersonen in der öffentlichen Diskussion. Manchmal gelingt es auch, etwas zu erreichen. Etwa als das Außenministerium die Botschaft in Berlin ohne öffentlichen Wettbewerb bauen wollte, erreichten die Architekten eine Ausschreibung.
- Übernehmen „westliche" Investoren eine Vorbildfunktion beziehungsweise nützen sie die manchmal überschnelle Entwicklung oder eher unkontrollierte Planung aus?
- Bei den westlichen Investoren ist leider nicht die Rede von Vorbildfunktion, sondern genau das Gegenteil. Sehr oft werden die Projekte untransparent abgewickelt. In den meisten Fällen kommen die westlichen Investoren mit eigenen, leider nicht sehr guten Architekten und suchen in der Stadt nur heimische Partner, um die fertig gestellten Projekte leichter durch das Genehmigungsverfahren zu bringen und dann zu realisieren.
- Gibt es besonders gute/schlechte Beispiele?
- Wie bereits erwähnt finden sich leider eher schlechte Beispiele. Um doch ein gutes zu nennen: der Neubau der Slowakischen Nationalbank. Das Gewinnerprojekt war Resultat eines öffentlichen Wettbewerbes. Das Gebäude wurde im Sinne des Wettbewerbsresultats realisiert und es stellt auch ein Stück gute Architektur dar. Die Vorburg zählt zu den schlechten Beispielen, ist aber wenigstens öffentlich bekannt. Viel beängstigender sind die Projekte, von denen man erst dann erfährt, wenn bereits das Skelett – im Fall des Hochhauses an der Sancova-Straße – oder das ganze Haus – etwa das neue Au-Café am rechten Donauufer – steht.

- Was wäre Ihre Wunschsituation oder was wären Ihre Vorschläge zur Verbesserung?
- Ich habe in diesem Sinne keine konkreten Träume. Ich bin mir aber überhaupt nicht sicher, ob Wettbewerbe für sich schon Garantie für gute Architektur abgeben. Einen Weg sehe ich doch in der Transparenz des ganzen Prozesses von Projektabwicklung und in der kritischen öffentlichen Diskussion. Die Bevölkerung von Bratislava sowie die Architekten verdienen das.
- Unser Stadtrat Schicker präsentiert immer wieder den Großraum Wien/Bratislava – ist davon etwas in Bratislava spürbar?
- Die Bevölkerung von Bratislava bekommt nicht sehr viel von der Idee des Großraumes Wien/Bratislava zu spüren. Im Gegenteil: Wir spüren die schlechte Bratislava-Wien-Autoverbindung, die fehlende Autobahn und die langen Wartezeiten an der Grenze. Und noch etwas bekommen wir zu spüren – oder besser gesagt zu hören – und zwar die Stimme von dem großen klügeren Bruder, der besser weiß, wie es in der Welt läuft.
Bratislava fehlt, so wie dem ganzen Land, eine Zukunftsvision. Auch beim EU-Beitritt hat man es nicht geschafft, eine allgemein akzeptable Vision der Zukunft zu formulieren. Niemand weiß, welche Rolle die Slowakei allgemein und welche Bratislava im Einzelnen in der EU spielen soll.
Bei Bratislava kommt noch der Komplex einer Kleinstadt als Vorstadt von Wien dazu. Derzeitige politische Repräsentanten der Stadt wollen diese Tatsache unbedingt ändern. Ohne die Zukunftsvision ist aber paradoxerweise die einzige nutzbare Vorstellung die der alten, von der Nostalgie der K. u. k.-Monarchie umhüllten Kleinstadt von Pressburg. Bratislava soll nicht erwachsen werden, sondern immer die nette Kleinstadt mit niedrigen Häusern, Satteldächern, kleinen Fenstern und Kaffeehäusern mit Strudel und Kaffee bleiben. Mit dieser Vorstellung identifiziert sich auch die Mehrheit der Bevölkerung.
- Wie schätzen Sie die momentane Situation in der slowakischen Architekturszene ein?
- Die slowakische Architekturszene verfügt über eine eigene Dynamik in der Architekturentwicklung. Diese ist eindeutig langsamer als etwa in Tschechien oder Österreich. Das hängt mit der Geschichte, mit der ökonomischen und gesellschaftlichen Situation zusammen. Die Architekturszene in Bratislava ist stark von der Moderne geprägt. Gleichzeitig ist sie aber ziemlich offen (sogar sehr im Vergleich zu anderen Regionen der Slowakei) gegenüber aktuellen westlichen Einflüssen. In den letzten Jahren hat sich ein breites Potenzial von Architekturbüros entwickelt, die bereits an interessanten Projekten arbeiten. Während die ältere Generation die alte Moderne weiterpflegt, arbeiten die Jungen auch an anderen Konzepten.
erschienen in REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa,Juni 2005
Link: REPORT online -